Das falsche Medium
Zu meinem Artikel Kampfplatz Katalog hat Borghild Niemann folgenden Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung geschickt, den diese heute veröffentlicht (die orthographischen Eingriffe sind revertiert):
So ist es. – In einem kritisch gemeinten Leserbrief wird mir vorgeworfen, anhand anhand eines »willkürlich herausgegriffenen Einzelsbeispiels« [sic] argumentiert zu haben. Im ursprünglichen Sinne von willkürlich ist das richtig, denn ich hatte mir bei dem Beispiel etwas gedacht. Daß die Vorführung eines Mißstands an einem geeigneten Beispiel irgendwie verwerflich sein könnte, ist eine verbreitete und doch immer wieder befremdliche Vorstellung. – Ein anderer Leser bringt vor, seine »Erfahrung als Bibliotheksdirektor« habe ihn gelehrt, daß Bibliothekskataloge »noch nie objektiv gewesen« seien, »da sie eine subjektive Auswahl von Literatur aus der Menge des Vorhandenen abbilden«. Wie schon der Begriffswechsel andeutet, verwechselt der Leser Neutralität mit Objektivität. Vor allem aber konnte die Auswahl aus dem Gesamtangebot des Gedruckten noch nie so verstanden werden, daß die nicht angekauften Bücher wertlos seien.
Als Bibliotheksoberrätin in der Staatsbibliothek zu Berlin frage ich mich, ob die hochgeschätzten bayerischen Kollegen von allen guten Geistern verlassen waren, als sie bei der Erneuerung des Bayerischen Verbundkataloges die Möglichkeit geschaffen haben, direkt von der Katalogoberfläche zur elektronischen Theke von Amazon durchzuklicken. Die (kostenlose?) Werbung für eine oder einige wenige Internetbuchhandlungen hat in einem mit Steuergeldern finanzierten Bibliothekskatalog nichts zu suchen. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels sollte sich bald mit dieser Frage beschäftigen. Dabei ist auch zu bedenken, daß der Bayerische Verbundkatalog einer der renommiertesten deutschen Online-Kataloge ist, der von vielen Benutzern und Bibliothekaren auch außerhalb Bayerns regelmäßig konsultiert wird. Im Gegensatz zu sonstigen Erfahrungen mit bibliothekarischen Dienstleistungen aus Bayern wird mit der Amazon-Werbung ein negativer Maßstab gesetzt.
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Ich stöbere häufig in den Katalogen der Königlichen Bibliothek Kopenhagen und der Nationalbibliothek Oslo. Dort habe ich noch keine Rezensionen direkt an den Titelaufnahmen gefunden. Und die Skandinavier sind keineswegs auf den Kopf gefallen, was Bibliothekswesen und elektronische Medien betrifft. Im Kopenhagener Katalog kann man bei der Hans-Christian-Andersen-Biographie von Jens Andersen und der Kierkegaard-Biographie von Joakim Garff kurze, knappe Inhaltsangaben finden. Warum ist nicht eine einzige der zahlreichen Rezensionen angehängt? Im Osloer Katalog gibt es unter Titelaufnahmen eine Rubrik »Zusatzinformation« und dort unter »Beschreibung (neutral)« eine kurze Inhaltsangabe des Buches.
Als vom Steuerzahler alimentierte Dienstleister sind wir Bibliothekare zur Neutralität verpflichtet und sollten nicht per Katalog Bewertungen der Bücher aus dem Bestand unserer Bibliotheken in Umlauf bringen. Das Gespräch mit dem Benutzer, die Benutzerschulung, sei es mündlich oder schriftlich, unterliegt der Freiheit von Forschung und Lehre. Hier dürfen wir nach bestem Wissen und Gewissen Empfehlungen aussprechen, denn sonst bräuchte man uns gar nicht zu fragen. Aber der Katalog ist das falsche Medium.
So ist es. – In einem kritisch gemeinten Leserbrief wird mir vorgeworfen, anhand anhand eines »willkürlich herausgegriffenen Einzelsbeispiels« [sic] argumentiert zu haben. Im ursprünglichen Sinne von willkürlich ist das richtig, denn ich hatte mir bei dem Beispiel etwas gedacht. Daß die Vorführung eines Mißstands an einem geeigneten Beispiel irgendwie verwerflich sein könnte, ist eine verbreitete und doch immer wieder befremdliche Vorstellung. – Ein anderer Leser bringt vor, seine »Erfahrung als Bibliotheksdirektor« habe ihn gelehrt, daß Bibliothekskataloge »noch nie objektiv gewesen« seien, »da sie eine subjektive Auswahl von Literatur aus der Menge des Vorhandenen abbilden«. Wie schon der Begriffswechsel andeutet, verwechselt der Leser Neutralität mit Objektivität. Vor allem aber konnte die Auswahl aus dem Gesamtangebot des Gedruckten noch nie so verstanden werden, daß die nicht angekauften Bücher wertlos seien.
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