Mit der Gabel gelöffelt
Dieser Text ist in der Frankfurter Allgemeinen vom 21. 12. 2005 erschienen.
Beunruhigend vertraut klingen die Nachrichten aus den Niederlanden:
Die führenden überregionalen Zeitungen de Volkskrant, NRC Handelsblad und Trouw, das Nachrichtenmagazin Elsevier sowie der öffentliche Rundfunk haben angekündigt, sich der Rechtschreibreform zu widersetzen, deren Vollzug für den 1. August 2006 vorgesehen ist. Die Regierung und die von ihr beauftragten Sprachwissenschaftler zeigen sich überrascht und bekräftigen ihre Absicht, an den gemeinsam gefaßten Beschlüssen festzuhalten. Die Boykottandrohung sei unverständlich, da die Reform nur einige »Anpassungen« mit sich bringe und eine Reihe von Ausnahmen in der bisher gültigen Regelung bereinige. Im Interesse der Schüler müsse an ihr festgehalten werden.
Vor gut zwei Monaten ist das neue »Grüne Büchlein« erschienen, das mehr als tausend Seiten starke Manifest der institutionalisierten Sprachrevolution, als deren Führer ein emeritierter Professor amtiert. Mit der demonstrativen Gelassenheit eines Berufspolitikers hält Maarten van den Toorn der Medienfronde entgegen, daß der Zug abgefahren sei. Der Nimwegener Linguist beherrscht die Taktik der Sprachreformer aller Länder: Protest kommt stets zu spät, eine öffentliche Debatte ist immer schon überflüssig.
Van den Toorn ist Vorsitzender der von der zwischenstaatlichen Sprachbehörde »Nederlandse Taalunie« eingesetzten Arbeitsgruppe, welche die amtliche Rechtschreibung auf den neuesten Stand bringen sollte. Eine Reform stand ausdrücklich nicht auf dem Programm: Die letzte liegt erst zehn Jahre zurück und war heftig umkämpft. Trotzdem betreffen die jetzt vorgesehenen Änderungen immerhin knapp drei Prozent der im »Groene Boekje« verzeichneten Einträge.
Vorgesehen war lediglich ein Update: Weil die ehemalige niederländische Kolonie Surinam der »Taalunie« beigetreten ist, muß das offizielle Wörterbuch erstmals einige nur dort übliche Wörter enthalten, zum Beispiel die niedliche Bezeichnung handknie für Ellenbogen. Zu erfassen waren ferner neu eingebürgerte Fremdwörter ("bastaardwoorden") wie tsunami oder spamfilter. Aber die Kommission wollte mehr.
Die Tradition der Sprachplanung, an die sie in ihrer Arbeit anschließen konnte, reicht viele Jahrzehnte zurück. Aus Duitschland und philosophie sind schon vor langer Zeit Duitsland und "filosofie" geworden. Der Versuch, Kölnisch Wasser als odeklonje zu bezeichnen, wurde 1972 immerhin zurückgeschlagen. Wer seine Suppe mit der Gabel löffeln wolle, begehe einen Fehler, schrieb damals Harry Mulisch in einer Kampfschrift wider die Reformer. Aber die machten ungerührt weiter, selbst da, wo sich große Widerstände auftaten. Das ist besonders beim Fugen-n der Fall: Ob es heiligedag oder heiligendag heißen müsse, ist mindestens so umstritten wie die Groß- oder Kleinschreibung von nieuwjaar. Strenggenommen handelt es sich natürlich um eine Frage der Morphologie, nicht der Orthographie: Als Karl Valentin den Plural Semmelnknödeln forderte, war das ein Beitrag zur Wortbildungslehre. Die niederländischen Orthographen sehen sich gleichwohl befugt, den Wegfall des n in gazellenoog und seine Einfügung in giraffehals anzuordnen.
Ähnlich inkonsequent wird der sociaal-democraat zum sociaaldemocraat, der "sociaal-psycholoog" zum sociaal psycholoog. Der co-assistent wird zum "coassistent", aus coëducatie wird co-educatie. Auch auf den Gebieten Silbentrennung und Fremdwortintegration gibt es dubiose Erleichterungen: Fran-krijk muß nicht mehr als falsch angestrichen werden, und französische Wörter verlieren reihenweise Akzente. Selbst die christdemokratische Regierungspartei Christen Democratisch Appèl ist deshalb aufgefordert, ihren Namen zu ändern. Bei dieser Gelegenheit könnte sie sich dann den Apfel als neues Symbol wählen.
Das Nebeneinander von kleinem jood und großem Palestijn sei oft als peinlich empfunden worden, meint die Kommission. Deshalb soll nun immer dann Jood geschrieben werden, wenn von einem Angehörigen des jüdischen Volkes die Rede ist. Der religiöse Jude bleibt ein schlichter jood; geht er in die Synagoge, so besucht er die jodenkerk. Da aber der gelbe Stern rassistischen Kriterien gemäß ausgegeben wurde, muß es neu Jodenster heißen. Harry Mulisch, von der Volkskrant zu den neuen Regeln befragt, hielt sich vornehm zurück und nannte sie schlicht Unsinn.
Von Willkür und Wahnsinn spricht hingegen Gerard C. Molewijk, der sich als Historiker mit der Geschichte der niederländischen Rechtschreibung befaßt hat. Daß sein Verriß des »Grünen Büchleins« vom NRC Handelsblad als Gastkommentar gedruckt wurde, gab im Oktober eine Vorahnung der jüngsten Ereignisse. Die niederländische Schriftsprache werde durch die periodisch wiederkehrenden staatlichen Eingriffe in einem Zustand der künstlichen Instabilität gehalten, so Molewijk mit Blick auf die Reformen von 1934, 1947, 1955 und 1995. Sie sei bei der »Taalunie« erwiesenermaßen nicht in guten Händen und müsse endlich ihren Benutzern zurückgegeben werden. Zustimmung hat diese Forderung nicht nur bei den Journalisten gefunden. Zur Stärkung ihrer Widerstandskräfte verwies ein ehemaliger Chefredakteur des führenden Wörterbuchverlags Van Dale am Montag auf das naheliegende deutsche Beispiel: Dort habe eine vergleichbare Rebellion gegen staatlich verordnete Sprachplanung ebenfalls Erfolg. Das allerdings ist noch nicht endgültig ausgemacht.
Beunruhigend vertraut klingen die Nachrichten aus den Niederlanden:
Die führenden überregionalen Zeitungen de Volkskrant, NRC Handelsblad und Trouw, das Nachrichtenmagazin Elsevier sowie der öffentliche Rundfunk haben angekündigt, sich der Rechtschreibreform zu widersetzen, deren Vollzug für den 1. August 2006 vorgesehen ist. Die Regierung und die von ihr beauftragten Sprachwissenschaftler zeigen sich überrascht und bekräftigen ihre Absicht, an den gemeinsam gefaßten Beschlüssen festzuhalten. Die Boykottandrohung sei unverständlich, da die Reform nur einige »Anpassungen« mit sich bringe und eine Reihe von Ausnahmen in der bisher gültigen Regelung bereinige. Im Interesse der Schüler müsse an ihr festgehalten werden.
Vor gut zwei Monaten ist das neue »Grüne Büchlein« erschienen, das mehr als tausend Seiten starke Manifest der institutionalisierten Sprachrevolution, als deren Führer ein emeritierter Professor amtiert. Mit der demonstrativen Gelassenheit eines Berufspolitikers hält Maarten van den Toorn der Medienfronde entgegen, daß der Zug abgefahren sei. Der Nimwegener Linguist beherrscht die Taktik der Sprachreformer aller Länder: Protest kommt stets zu spät, eine öffentliche Debatte ist immer schon überflüssig.
Van den Toorn ist Vorsitzender der von der zwischenstaatlichen Sprachbehörde »Nederlandse Taalunie« eingesetzten Arbeitsgruppe, welche die amtliche Rechtschreibung auf den neuesten Stand bringen sollte. Eine Reform stand ausdrücklich nicht auf dem Programm: Die letzte liegt erst zehn Jahre zurück und war heftig umkämpft. Trotzdem betreffen die jetzt vorgesehenen Änderungen immerhin knapp drei Prozent der im »Groene Boekje« verzeichneten Einträge.
Vorgesehen war lediglich ein Update: Weil die ehemalige niederländische Kolonie Surinam der »Taalunie« beigetreten ist, muß das offizielle Wörterbuch erstmals einige nur dort übliche Wörter enthalten, zum Beispiel die niedliche Bezeichnung handknie für Ellenbogen. Zu erfassen waren ferner neu eingebürgerte Fremdwörter ("bastaardwoorden") wie tsunami oder spamfilter. Aber die Kommission wollte mehr.
Die Tradition der Sprachplanung, an die sie in ihrer Arbeit anschließen konnte, reicht viele Jahrzehnte zurück. Aus Duitschland und philosophie sind schon vor langer Zeit Duitsland und "filosofie" geworden. Der Versuch, Kölnisch Wasser als odeklonje zu bezeichnen, wurde 1972 immerhin zurückgeschlagen. Wer seine Suppe mit der Gabel löffeln wolle, begehe einen Fehler, schrieb damals Harry Mulisch in einer Kampfschrift wider die Reformer. Aber die machten ungerührt weiter, selbst da, wo sich große Widerstände auftaten. Das ist besonders beim Fugen-n der Fall: Ob es heiligedag oder heiligendag heißen müsse, ist mindestens so umstritten wie die Groß- oder Kleinschreibung von nieuwjaar. Strenggenommen handelt es sich natürlich um eine Frage der Morphologie, nicht der Orthographie: Als Karl Valentin den Plural Semmelnknödeln forderte, war das ein Beitrag zur Wortbildungslehre. Die niederländischen Orthographen sehen sich gleichwohl befugt, den Wegfall des n in gazellenoog und seine Einfügung in giraffehals anzuordnen.
Ähnlich inkonsequent wird der sociaal-democraat zum sociaaldemocraat, der "sociaal-psycholoog" zum sociaal psycholoog. Der co-assistent wird zum "coassistent", aus coëducatie wird co-educatie. Auch auf den Gebieten Silbentrennung und Fremdwortintegration gibt es dubiose Erleichterungen: Fran-krijk muß nicht mehr als falsch angestrichen werden, und französische Wörter verlieren reihenweise Akzente. Selbst die christdemokratische Regierungspartei Christen Democratisch Appèl ist deshalb aufgefordert, ihren Namen zu ändern. Bei dieser Gelegenheit könnte sie sich dann den Apfel als neues Symbol wählen.
Das Nebeneinander von kleinem jood und großem Palestijn sei oft als peinlich empfunden worden, meint die Kommission. Deshalb soll nun immer dann Jood geschrieben werden, wenn von einem Angehörigen des jüdischen Volkes die Rede ist. Der religiöse Jude bleibt ein schlichter jood; geht er in die Synagoge, so besucht er die jodenkerk. Da aber der gelbe Stern rassistischen Kriterien gemäß ausgegeben wurde, muß es neu Jodenster heißen. Harry Mulisch, von der Volkskrant zu den neuen Regeln befragt, hielt sich vornehm zurück und nannte sie schlicht Unsinn.
Von Willkür und Wahnsinn spricht hingegen Gerard C. Molewijk, der sich als Historiker mit der Geschichte der niederländischen Rechtschreibung befaßt hat. Daß sein Verriß des »Grünen Büchleins« vom NRC Handelsblad als Gastkommentar gedruckt wurde, gab im Oktober eine Vorahnung der jüngsten Ereignisse. Die niederländische Schriftsprache werde durch die periodisch wiederkehrenden staatlichen Eingriffe in einem Zustand der künstlichen Instabilität gehalten, so Molewijk mit Blick auf die Reformen von 1934, 1947, 1955 und 1995. Sie sei bei der »Taalunie« erwiesenermaßen nicht in guten Händen und müsse endlich ihren Benutzern zurückgegeben werden. Zustimmung hat diese Forderung nicht nur bei den Journalisten gefunden. Zur Stärkung ihrer Widerstandskräfte verwies ein ehemaliger Chefredakteur des führenden Wörterbuchverlags Van Dale am Montag auf das naheliegende deutsche Beispiel: Dort habe eine vergleichbare Rebellion gegen staatlich verordnete Sprachplanung ebenfalls Erfolg. Das allerdings ist noch nicht endgültig ausgemacht.
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