Und Sie so?
Orthographie-Opfer unter sich: Deutschsprachige Zeitungen und die neue deutsche Rechtschreibung. Von Reinhard Markner
Junge Welt, 1. 8. 2001
Wenn Zeitungen eigene Fehler einzugestehen haben, so tun sie dies gewöhnlich schamhaft und leise in jenen dunklen Ecken, die der Umbruch übriggelassen hat. Nicht so vor einem Jahr, als die Frankfurter Allgemeine mit Aufmachern in eigener Sache überraschte. Nach einem Jahr gemeinsamer Quälerei von Autoren und Lesern hatte das Blatt ein Einsehen und kündigte die Rückkehr zur bewährten deutschen Rechtschreibung an. Ein Aufatmen ging durch die Leserschaft.
Aus den Kommentaren der Kollegen sprach das schlechte Gewissen. Ein Autor der Süddeutschen Zeitung riet jenen Schriftstellern, die der FAZ gratulierten, sich lieber mit dem Rechtsextremismus zu beschäftigen. »Freie Rechtschreibung für freie Bürger - die wäre die schlechteste aller Varianten«, schrieb die Neue Osnabrücker Zeitung, offenbar schockiert von dem Gedanken, die vom Deutschen Bundestag ausgegebene Losung »Die Sprache gehört dem Volk« könnte Wirklichkeit werden. Und der Chefredakteur der Nürnberger Zeitung ließ sich zu der vielleicht etwas übertriebenen Schätzung hinreißen, daß 95 Prozent seiner Leser die seit August 1999 zur Anwendung kommende Schreibung ablehnten. An eine Änderung, so beeilte er sich hinzuzufügen, sei gleichwohl nicht zu denken.
Applaus spendete ausgerechnet die Wiener Neue Kronen- Zeitung vom anderen Ende des Qualitätsspektrums, doch auch hier fehlte der Mut, den Worten Taten folgen zu lassen. Ein Telefonat zwischen den wenig reformbegeisterten Chefredakteuren von Welt und Spiegel blieb ohne Ergebnis. Die FAZ fand keine Nachahmer. Es rächte sich nun, daß man ein Jahr zuvor selbst dem Konformismus gehuldigt hatte und sich ganz ausdrücklich wider besseren Wissens den Anordnungen der deutschen Unterrichtsminister gebeugt hatte. Hätte man die Entscheidung der Frankfurter Kollegen vorausgeahnt, wären die eigenen, quälend langwierigen Bemühungen um eine Hausorthographie wohl eingestellt worden, mutmaßte ein Mitarbeiter der NZZ. Nun aber war die Entscheidung für »Potenzial«, aber gegen »Gräuel« unwiderruflich.
Dabei wäre ein »Gesichtsverlust« der Redaktionen nicht wirklich zu befürchten gewesen; es hätte gereicht, die Masken abzureißen. Vor einigen Wochen erschien in der Süddeutschen Zeitung an der denkbar prominentesten Stelle, in der Wochenendausgabe auf Seite drei, ein in ebenso auffällig makelloser wie herkömmlicher Rechtschreibung abgefaßter Artikel. Es war dies eines jener mehr oder minder alltägliche Versehen, die von der Presse nicht einmal einer Richtigstellung für nötig befunden werden. Man hatte vergessen, den Text durch jenen »Konverter« laufen zu lassen, der aus Orthographie »Orthografie« macht.
Solche Pannen sollten niemanden überraschen. Von den Betreibern der Reform wurde eine vereinfachte und vereinheitlichte Rechtschreibung in Aussicht gestellt. Tatsächlich ist das entstandene Durcheinander für jedermann sichtbar und das amtliche Regelwerk so kompliziert, daß seine Auslegung selbst die Fachleute der Duden-Redaktion überfordert. Ihre Entscheidung, die Getrenntschreibung »wieder sehen« vorzuschreiben, angeblich eine Fehlinterpretation der neuen Regeln, ist mittlerweile zwar revidiert, immer noch aber stehen in der Neuausgabe des Wörterbuchs, die wenige Wochen nach dem Befreiungsschlag der FAZ auf den Markt kam, »wieder herrichten« und »wiederherstellen« unvermittelt nebeneinander. Kein Wunder, daß der Münchner Lektor Wolfgang Wrase bei einem akribischen Vergleich von zwei Ausgaben der Süddeutschen einen Anstieg der Fehlerzahlen um ein Mehrfaches diagnostizieren mußte. Und dies, obwohl die deutschsprachige Presse es abgelehnt hat, die amtlichen Regeln in toto zu übernehmen.
Die von den deutschen Kultusministern bestallten Linguisten schicken sich nun an, hinter den wie gewohnt geschlossenen Türen die Reform der Reform vorzubereiten. Einige Ergebnisse ihrer Überlegungen sind im jüngst erschienenen Duden-Universalwörterbuch bereits zu besichtigen. So sind die grammatisch falschen Schreibweisen »heute Abend«, »gestern Morgen« usw. nicht etwa korrigiert, sondern sogar noch um die gewagten Konstruktionen »heute Früh«, »morgen Früh« usw. ergänzt worden. Diese sind zwar so wenig sinnvoll wie amtlich, dafür aber bezeichnend für die Geisteshaltung ihrer Urheber. Wenn Hubert Spiegel, der leitende Literaturredakteur der FAZ, sich dieser Tage mit den Worten vernehmen läßt, die Rechtschreibreform sei im abgelaufenen Jahr nicht besser geworden, weiß er vielleicht gar nicht, wie recht er hat.
(Die junge Welt lesen Sie übrigens wie schon immer in der bewährten deutschen Rechtschreibung.)
Junge Welt, 1. 8. 2001
Wenn Zeitungen eigene Fehler einzugestehen haben, so tun sie dies gewöhnlich schamhaft und leise in jenen dunklen Ecken, die der Umbruch übriggelassen hat. Nicht so vor einem Jahr, als die Frankfurter Allgemeine mit Aufmachern in eigener Sache überraschte. Nach einem Jahr gemeinsamer Quälerei von Autoren und Lesern hatte das Blatt ein Einsehen und kündigte die Rückkehr zur bewährten deutschen Rechtschreibung an. Ein Aufatmen ging durch die Leserschaft.
Aus den Kommentaren der Kollegen sprach das schlechte Gewissen. Ein Autor der Süddeutschen Zeitung riet jenen Schriftstellern, die der FAZ gratulierten, sich lieber mit dem Rechtsextremismus zu beschäftigen. »Freie Rechtschreibung für freie Bürger - die wäre die schlechteste aller Varianten«, schrieb die Neue Osnabrücker Zeitung, offenbar schockiert von dem Gedanken, die vom Deutschen Bundestag ausgegebene Losung »Die Sprache gehört dem Volk« könnte Wirklichkeit werden. Und der Chefredakteur der Nürnberger Zeitung ließ sich zu der vielleicht etwas übertriebenen Schätzung hinreißen, daß 95 Prozent seiner Leser die seit August 1999 zur Anwendung kommende Schreibung ablehnten. An eine Änderung, so beeilte er sich hinzuzufügen, sei gleichwohl nicht zu denken.
Applaus spendete ausgerechnet die Wiener Neue Kronen- Zeitung vom anderen Ende des Qualitätsspektrums, doch auch hier fehlte der Mut, den Worten Taten folgen zu lassen. Ein Telefonat zwischen den wenig reformbegeisterten Chefredakteuren von Welt und Spiegel blieb ohne Ergebnis. Die FAZ fand keine Nachahmer. Es rächte sich nun, daß man ein Jahr zuvor selbst dem Konformismus gehuldigt hatte und sich ganz ausdrücklich wider besseren Wissens den Anordnungen der deutschen Unterrichtsminister gebeugt hatte. Hätte man die Entscheidung der Frankfurter Kollegen vorausgeahnt, wären die eigenen, quälend langwierigen Bemühungen um eine Hausorthographie wohl eingestellt worden, mutmaßte ein Mitarbeiter der NZZ. Nun aber war die Entscheidung für »Potenzial«, aber gegen »Gräuel« unwiderruflich.
Dabei wäre ein »Gesichtsverlust« der Redaktionen nicht wirklich zu befürchten gewesen; es hätte gereicht, die Masken abzureißen. Vor einigen Wochen erschien in der Süddeutschen Zeitung an der denkbar prominentesten Stelle, in der Wochenendausgabe auf Seite drei, ein in ebenso auffällig makelloser wie herkömmlicher Rechtschreibung abgefaßter Artikel. Es war dies eines jener mehr oder minder alltägliche Versehen, die von der Presse nicht einmal einer Richtigstellung für nötig befunden werden. Man hatte vergessen, den Text durch jenen »Konverter« laufen zu lassen, der aus Orthographie »Orthografie« macht.
Solche Pannen sollten niemanden überraschen. Von den Betreibern der Reform wurde eine vereinfachte und vereinheitlichte Rechtschreibung in Aussicht gestellt. Tatsächlich ist das entstandene Durcheinander für jedermann sichtbar und das amtliche Regelwerk so kompliziert, daß seine Auslegung selbst die Fachleute der Duden-Redaktion überfordert. Ihre Entscheidung, die Getrenntschreibung »wieder sehen« vorzuschreiben, angeblich eine Fehlinterpretation der neuen Regeln, ist mittlerweile zwar revidiert, immer noch aber stehen in der Neuausgabe des Wörterbuchs, die wenige Wochen nach dem Befreiungsschlag der FAZ auf den Markt kam, »wieder herrichten« und »wiederherstellen« unvermittelt nebeneinander. Kein Wunder, daß der Münchner Lektor Wolfgang Wrase bei einem akribischen Vergleich von zwei Ausgaben der Süddeutschen einen Anstieg der Fehlerzahlen um ein Mehrfaches diagnostizieren mußte. Und dies, obwohl die deutschsprachige Presse es abgelehnt hat, die amtlichen Regeln in toto zu übernehmen.
Die von den deutschen Kultusministern bestallten Linguisten schicken sich nun an, hinter den wie gewohnt geschlossenen Türen die Reform der Reform vorzubereiten. Einige Ergebnisse ihrer Überlegungen sind im jüngst erschienenen Duden-Universalwörterbuch bereits zu besichtigen. So sind die grammatisch falschen Schreibweisen »heute Abend«, »gestern Morgen« usw. nicht etwa korrigiert, sondern sogar noch um die gewagten Konstruktionen »heute Früh«, »morgen Früh« usw. ergänzt worden. Diese sind zwar so wenig sinnvoll wie amtlich, dafür aber bezeichnend für die Geisteshaltung ihrer Urheber. Wenn Hubert Spiegel, der leitende Literaturredakteur der FAZ, sich dieser Tage mit den Worten vernehmen läßt, die Rechtschreibreform sei im abgelaufenen Jahr nicht besser geworden, weiß er vielleicht gar nicht, wie recht er hat.
(Die junge Welt lesen Sie übrigens wie schon immer in der bewährten deutschen Rechtschreibung.)
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