Ränken und Würken
Heute vor 250 Jahren wurde der Anstandsberater Adolph von Knigge geboren. Von Reinhard Markner
Junge Welt, 16. 10. 2002
»Der höchste Grad der Aufklärung gränzt immer an die äusserste Barbarey.« – Adorno? Nein, Knigge (in einem Brief, 1780). Ein zufälliger Gleichklang? Nicht unbedingt; schließlich war der stets vollendet formbewußte Adorno wie kein anderer Salonsozialist bereit, im Anstand den Widerschein der Humanität schlechthin zu erkennen. In den Minima moralia unternahm er es gar, die »genaue historische Stunde« des Taktes zu bestimmen. Sie habe geschlagen, als »das bürgerliche Individuum des absolutistischen Zwangs ledig ward« und »die in sich gebrochene und doch noch gegenwärtige Konvention« eine neue Bedeutung gewann.
Das also war die Stunde des heute vor 250 Jahren auf einem Gut bei Hannover geborenen Freiherrn Adolph von Knigge. Als er 1788 seinen Ratgeber Über den Umgang mit Menschen für die Anständigen unter denselben schrieb, braute sich in Paris schon der Aufstand zusammen. Der verarmte Adlige zählte zu den Wegbereitern des bürgerlichen Zeitalters – und zu den standhafteren unter den deutschen Anhängern der Französischen Revolution.
Es hat sich herumgesprochen, daß es Knigge nicht darum zu tun war, die Manieren der Deutschen zu verfeinern. »Daß man bey Tische den abgeleckten Löffel, womit man gegessen, nicht wieder vor sich hinlegen solle« – mit derlei Empfehlungen mochte er sich nicht aufhalten. Er betonte das so ausdrücklich, als ahnte er schon das kommende Mißverständnis, das von seinem Namen Besitz ergreifen sollte. Knigge ging es um angewandte Menschenkenntnis. Er lehrte nicht die leere Zeremonialität der französischen Courtoisie, sondern gelassene Weltklugheit.
Als Romancier fehlte Knigge die Kraft eines Smollett und schon gar der Aber-Witz eines Sterne. Immerhin erwies er sich auch in diesem Genre als ein aufmerksamer Beobachter seiner Zeit – und natürlich seiner selbst, lag doch nicht nur dem Erstling »Roman meines Lebens« eingestandenermaßen ein autobiographisches Substrat zugrunde.
Weniger augenfällig geriet Knigge das Selbstporträt im Umgang mit Menschen. Man entdeckt es an der Stelle, wo vor Leuten gewarnt wird, die zwanghaft »Ränke, Schwänke und Winkelzüge« betreiben. »Ein Mann«, so heißt es hier, »der lange an Höfen gelebt hat, um sich her nichts als Verstellung, Intrigue, Cabale und Gegeneinanderwürken ..., findet ein Leben, das ohne Verwicklung fortgeht, zu einförmig; er wird seine unbedeutendsten Schritte so thun, daß man ihm nicht nachspüren kann, und seinen unschuldigsten Handlungen einen räthselhaften Anschein geben.« Wie genau sich Knigge in dieser Darstellung getroffen hat, ist erst durch die Wiederentdeckung von Teilen seiner weitläufigen Korrespondenz in freimaurerischen Archiven erkennbar geworden.
Schon als Student in Göttingen Mitglied des »Concordienordens«, hatte Knigge 1773 Aufnahme in eine Kasseler Freimaurerloge gefunden. Nach einer zwischenzeitlichen Annäherung an rosenkreuzerische Kreise trat er 1780 dem aufklärerischen »Illuminatenorden« bei. Der Mann, der ihn anwarb, war sich zunächst noch sicher, daß er »wahrlich ein herlicher, und kluger Mann« sei. Doch nur zwei Monate später sah er sich veranlaßt, vor Knigge zu warnen: »Er ist ein Hofmann gewesen, und folglich in Ränken und Schwenken belehrt.« Mit anderen Worten, sein Charakter gleiche dem »von einem feinen Politiquer«.
Diese Warnung blieb zunächst ohne Wirkung; Knigge stieg rasch in der Hierarchie der Illuminaten auf und beförderte maßgeblich deren Ausbreitung über Bayern hinaus. Aber sein intrigantes Wirken war von ständigen Querelen begleitet, und schließlich überwarf er sich auch unwiderruflich mit dem Ordensgründer, dem Ingolstädter Juraprofessor Adam Weishaupt, so daß er 1784 seinen Austritt erklären mußte. Es wiederholte sich im Untergrund der Gesellschaft des Ancien Régime, was Knigge zuvor bereits an dessen Oberfläche widerfahren war, als er vergeblich um Anstellungen in Weimar und Berlin nachsuchte.
Der Roman seines Lebens war auf allen Ebenen die Geschichte von Ambitionen, die an Grenzen stoßen, auch wenn Knigge schließlich – eine Art erpreßter Versöhnung – in Bremen ein standesgemäßes Amt übertragen bekam und 1796 im dortigen Dom ein ehrenwertes Begräbnis. Als chronisch Kranker durchlitt er den Desillusionsroman seines irdischen Daseins. Wenigstens gelangte er dabei zu Einsichten, die aufgeklärt waren, ohne barbarisch zu sein.
Junge Welt, 16. 10. 2002
»Der höchste Grad der Aufklärung gränzt immer an die äusserste Barbarey.« – Adorno? Nein, Knigge (in einem Brief, 1780). Ein zufälliger Gleichklang? Nicht unbedingt; schließlich war der stets vollendet formbewußte Adorno wie kein anderer Salonsozialist bereit, im Anstand den Widerschein der Humanität schlechthin zu erkennen. In den Minima moralia unternahm er es gar, die »genaue historische Stunde« des Taktes zu bestimmen. Sie habe geschlagen, als »das bürgerliche Individuum des absolutistischen Zwangs ledig ward« und »die in sich gebrochene und doch noch gegenwärtige Konvention« eine neue Bedeutung gewann.
Das also war die Stunde des heute vor 250 Jahren auf einem Gut bei Hannover geborenen Freiherrn Adolph von Knigge. Als er 1788 seinen Ratgeber Über den Umgang mit Menschen für die Anständigen unter denselben schrieb, braute sich in Paris schon der Aufstand zusammen. Der verarmte Adlige zählte zu den Wegbereitern des bürgerlichen Zeitalters – und zu den standhafteren unter den deutschen Anhängern der Französischen Revolution.
Es hat sich herumgesprochen, daß es Knigge nicht darum zu tun war, die Manieren der Deutschen zu verfeinern. »Daß man bey Tische den abgeleckten Löffel, womit man gegessen, nicht wieder vor sich hinlegen solle« – mit derlei Empfehlungen mochte er sich nicht aufhalten. Er betonte das so ausdrücklich, als ahnte er schon das kommende Mißverständnis, das von seinem Namen Besitz ergreifen sollte. Knigge ging es um angewandte Menschenkenntnis. Er lehrte nicht die leere Zeremonialität der französischen Courtoisie, sondern gelassene Weltklugheit.
Als Romancier fehlte Knigge die Kraft eines Smollett und schon gar der Aber-Witz eines Sterne. Immerhin erwies er sich auch in diesem Genre als ein aufmerksamer Beobachter seiner Zeit – und natürlich seiner selbst, lag doch nicht nur dem Erstling »Roman meines Lebens« eingestandenermaßen ein autobiographisches Substrat zugrunde.
Weniger augenfällig geriet Knigge das Selbstporträt im Umgang mit Menschen. Man entdeckt es an der Stelle, wo vor Leuten gewarnt wird, die zwanghaft »Ränke, Schwänke und Winkelzüge« betreiben. »Ein Mann«, so heißt es hier, »der lange an Höfen gelebt hat, um sich her nichts als Verstellung, Intrigue, Cabale und Gegeneinanderwürken ..., findet ein Leben, das ohne Verwicklung fortgeht, zu einförmig; er wird seine unbedeutendsten Schritte so thun, daß man ihm nicht nachspüren kann, und seinen unschuldigsten Handlungen einen räthselhaften Anschein geben.« Wie genau sich Knigge in dieser Darstellung getroffen hat, ist erst durch die Wiederentdeckung von Teilen seiner weitläufigen Korrespondenz in freimaurerischen Archiven erkennbar geworden.
Schon als Student in Göttingen Mitglied des »Concordienordens«, hatte Knigge 1773 Aufnahme in eine Kasseler Freimaurerloge gefunden. Nach einer zwischenzeitlichen Annäherung an rosenkreuzerische Kreise trat er 1780 dem aufklärerischen »Illuminatenorden« bei. Der Mann, der ihn anwarb, war sich zunächst noch sicher, daß er »wahrlich ein herlicher, und kluger Mann« sei. Doch nur zwei Monate später sah er sich veranlaßt, vor Knigge zu warnen: »Er ist ein Hofmann gewesen, und folglich in Ränken und Schwenken belehrt.« Mit anderen Worten, sein Charakter gleiche dem »von einem feinen Politiquer«.
Diese Warnung blieb zunächst ohne Wirkung; Knigge stieg rasch in der Hierarchie der Illuminaten auf und beförderte maßgeblich deren Ausbreitung über Bayern hinaus. Aber sein intrigantes Wirken war von ständigen Querelen begleitet, und schließlich überwarf er sich auch unwiderruflich mit dem Ordensgründer, dem Ingolstädter Juraprofessor Adam Weishaupt, so daß er 1784 seinen Austritt erklären mußte. Es wiederholte sich im Untergrund der Gesellschaft des Ancien Régime, was Knigge zuvor bereits an dessen Oberfläche widerfahren war, als er vergeblich um Anstellungen in Weimar und Berlin nachsuchte.
Der Roman seines Lebens war auf allen Ebenen die Geschichte von Ambitionen, die an Grenzen stoßen, auch wenn Knigge schließlich – eine Art erpreßter Versöhnung – in Bremen ein standesgemäßes Amt übertragen bekam und 1796 im dortigen Dom ein ehrenwertes Begräbnis. Als chronisch Kranker durchlitt er den Desillusionsroman seines irdischen Daseins. Wenigstens gelangte er dabei zu Einsichten, die aufgeklärt waren, ohne barbarisch zu sein.
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