Große Denker
Echte Werte und virtueller Journalismus. Von Reinhard Markner
Junge Welt, 16. 3. 2005
Auch Alphaville hat seine Zeitungen. Nicht jene von Godard einst ersonnene Stadt, in der das Wort Liebe unbekannt ist, sondern die größte Siedlung in der virtuellen Welt der »Sims«. Natürlich erscheinen diese Blätter nicht in gedruckter Form, sondern als interaktive »Blogs«. Sie fassen für die ungefähr 80000 Mitspieler an den Rechnern in aller Welt das Neueste vom Tage zusammen.
Je ausgefeilter die virtuelle Gesellschaft, desto realer ist ihre Scheinrealität. Die Sims lebten ursprünglich in einer heilen Vorstadtwelt, wie sie so wohl nur Amerikaner programmieren konnten, und ihr Bewegungsspielraum war beschränkt: Die Grenzen ihrer Welt waren die Grenzen einer Festplatte. Seit das Spiel vor einigen Jahren online gegangen ist, ist das simulierte Leben weitläufiger, bunter, aber auch greller geworden. Manche Mitspieler machen sich einen Spaß daraus, im Puppenheim Schlagzeilenträchtiges zu inszenieren, und sie fanden Reporter, die ihr Treiben verfolgten. Insbesondere der Alphaville Herald hat ausführlich über Straßenräuber und Bordellmütter berichtet und sich damit einen gewissen Namen gemacht, bis sein Herausgeber, Peter Ludlow, von den Verantwortlichen der Firma Electronic Arts als Mitspieler gesperrt wurde.
Sein Fall fand Beachtung auch in der herkömmlichen Wirklichkeit. Es stellte sich die Frage, ob dem »Hausrecht« einer Softwarefirma Vorrang vor der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit zukomme. Im Rahmen des Spiels, so argumentierten Ludlows Verteidiger, sei ein öffentlicher Raum entstanden, den unbeschränkt zu kontrollieren seine privaten Betreiber nicht befugt seien. Ein Sprecher von Electronic Arts hielt dem entgegen, Ludlow sei so wenig Zeitungsherausgeber wie ein Monopoly-Spieler Immobilienhai.
Mit noch etwas mehr Ernst wird in den USA die Diskussion um die Beobachtungen eines kalifornischen Wirtschaftswissenschaftlers geführt. Edward Castronova studiert die Ökonomie der Simulationsspiele im Hinblick auf ihre Interaktion mit der realen Wirtschaft. Die im Spiel hergestellten oder erworbenen Güter, zum Beispiel die Pfründe der mittelalterlichen Welt »Everquest«, werden nämlich längst bei Ebay für echtes Geld gehandelt. Die Bietenden wollen Abkürzungen nehmen, in der gesellschaftlichen Hierarchie der Gegenwelt schneller aufsteigen und sich auf diese Weise mühevolle Arbeit am Bildschirm ersparen. Indem solche Vorteile handelsfähig werden, schaffen die Spieler »echte« Werte. Auf Grundlage der Auktionszuschläge hat Castronova sogar Wechselkurse zwischen Spielgeld und US-Dollar errechnen können.
Dieses Thema hat jüngst der deutsche Wirtschaftsjournalist Sönke Iwersen in einem Porträt Castronovas aufgegriffen, das vom Hamburger Abendblatt und der Bonner Wochenzeitung Rheinischer Merkur gedruckt wurde. Eine interessante Geschichte und ein gut geschriebener Text. Einziges Problem: Er war letzten Mai, noch ausführlicher, bereits in Walrus erschienen, einer ebenso jungen wie beachtlichen kanadischen Zeitschrift. »Edward Castronova had hit bottom. Three years ago, the thirty-eight-year-old economist was, by his own account, an academic failure«: so fängt Clive Thompsons Reportage an. »Edward Castronova war verzweifelt. Jahrelang hatte der amerikanische Volkswirtschaftler davon geträumt, eines Tages zu den großen Denkern seines Fachs zu gehören. Doch jetzt, mit 38, fiel seine wissenschaftliche Bilanz reichlich mager aus«: so liest sich das bei Iwersen, und in der gleichen paraphrasierenden Art geht es weiter, eine ganze Zeitungsseite lang. Wie es scheint, hat Sönke Iwersen seine Expeditionen in die Simulationswelt bloß simuliert, und seine journalistische Bilanz fällt reichlich mager aus.
Edward Castronova hat der Wirtschaftswissenschaft in den Simulationsspielen ein neues Betätigungsfeld erschlossen. Der virtuelle Journalismus, in allen seinen Facetten, ist ein Gebiet, das ebenfalls genaue Aufmerksamkeit verdient.
Junge Welt, 16. 3. 2005
Auch Alphaville hat seine Zeitungen. Nicht jene von Godard einst ersonnene Stadt, in der das Wort Liebe unbekannt ist, sondern die größte Siedlung in der virtuellen Welt der »Sims«. Natürlich erscheinen diese Blätter nicht in gedruckter Form, sondern als interaktive »Blogs«. Sie fassen für die ungefähr 80000 Mitspieler an den Rechnern in aller Welt das Neueste vom Tage zusammen.
Je ausgefeilter die virtuelle Gesellschaft, desto realer ist ihre Scheinrealität. Die Sims lebten ursprünglich in einer heilen Vorstadtwelt, wie sie so wohl nur Amerikaner programmieren konnten, und ihr Bewegungsspielraum war beschränkt: Die Grenzen ihrer Welt waren die Grenzen einer Festplatte. Seit das Spiel vor einigen Jahren online gegangen ist, ist das simulierte Leben weitläufiger, bunter, aber auch greller geworden. Manche Mitspieler machen sich einen Spaß daraus, im Puppenheim Schlagzeilenträchtiges zu inszenieren, und sie fanden Reporter, die ihr Treiben verfolgten. Insbesondere der Alphaville Herald hat ausführlich über Straßenräuber und Bordellmütter berichtet und sich damit einen gewissen Namen gemacht, bis sein Herausgeber, Peter Ludlow, von den Verantwortlichen der Firma Electronic Arts als Mitspieler gesperrt wurde.
Sein Fall fand Beachtung auch in der herkömmlichen Wirklichkeit. Es stellte sich die Frage, ob dem »Hausrecht« einer Softwarefirma Vorrang vor der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit zukomme. Im Rahmen des Spiels, so argumentierten Ludlows Verteidiger, sei ein öffentlicher Raum entstanden, den unbeschränkt zu kontrollieren seine privaten Betreiber nicht befugt seien. Ein Sprecher von Electronic Arts hielt dem entgegen, Ludlow sei so wenig Zeitungsherausgeber wie ein Monopoly-Spieler Immobilienhai.
Mit noch etwas mehr Ernst wird in den USA die Diskussion um die Beobachtungen eines kalifornischen Wirtschaftswissenschaftlers geführt. Edward Castronova studiert die Ökonomie der Simulationsspiele im Hinblick auf ihre Interaktion mit der realen Wirtschaft. Die im Spiel hergestellten oder erworbenen Güter, zum Beispiel die Pfründe der mittelalterlichen Welt »Everquest«, werden nämlich längst bei Ebay für echtes Geld gehandelt. Die Bietenden wollen Abkürzungen nehmen, in der gesellschaftlichen Hierarchie der Gegenwelt schneller aufsteigen und sich auf diese Weise mühevolle Arbeit am Bildschirm ersparen. Indem solche Vorteile handelsfähig werden, schaffen die Spieler »echte« Werte. Auf Grundlage der Auktionszuschläge hat Castronova sogar Wechselkurse zwischen Spielgeld und US-Dollar errechnen können.
Dieses Thema hat jüngst der deutsche Wirtschaftsjournalist Sönke Iwersen in einem Porträt Castronovas aufgegriffen, das vom Hamburger Abendblatt und der Bonner Wochenzeitung Rheinischer Merkur gedruckt wurde. Eine interessante Geschichte und ein gut geschriebener Text. Einziges Problem: Er war letzten Mai, noch ausführlicher, bereits in Walrus erschienen, einer ebenso jungen wie beachtlichen kanadischen Zeitschrift. »Edward Castronova had hit bottom. Three years ago, the thirty-eight-year-old economist was, by his own account, an academic failure«: so fängt Clive Thompsons Reportage an. »Edward Castronova war verzweifelt. Jahrelang hatte der amerikanische Volkswirtschaftler davon geträumt, eines Tages zu den großen Denkern seines Fachs zu gehören. Doch jetzt, mit 38, fiel seine wissenschaftliche Bilanz reichlich mager aus«: so liest sich das bei Iwersen, und in der gleichen paraphrasierenden Art geht es weiter, eine ganze Zeitungsseite lang. Wie es scheint, hat Sönke Iwersen seine Expeditionen in die Simulationswelt bloß simuliert, und seine journalistische Bilanz fällt reichlich mager aus.
Edward Castronova hat der Wirtschaftswissenschaft in den Simulationsspielen ein neues Betätigungsfeld erschlossen. Der virtuelle Journalismus, in allen seinen Facetten, ist ein Gebiet, das ebenfalls genaue Aufmerksamkeit verdient.
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