Violinen im Pentagon
Der Engel der Geschichte ist eine bleierne B-52. Laurie Anderson spielte in Berlin. Von Reinhard Markner
Junge Welt, 20. 10. 2001
Vor bald zehn Jahren versuchte sich Laurie Anderson im Hebbel-Theater zu Berlin an einer nachträglichen Deutung dessen, was in postmodernistischen Kreisen als größtes Simulacrum aller Zeiten gehandelt und im gemeinen Sprachgebrauch etwas ungenau als »Golfkrieg« bezeichnet wird. Ihre Geschichten erzählte sie, als halte sie eine Pressekonferenz im Pentagon, vor Projektionen der von kamerabewehrten Geschossen gelieferten Videos. Die Performance geriet zur Gegendarstellung.
Avantgarde ist ein militärischer Begriff. Die Feuilletons bezeugen, daß es vielen Künstlern momentan schwerfällt, mit der Entwicklung Schritt zu halten. In welche Richtung verläuft sie überhaupt? Erstaunt sieht man Flugzeuge zum Einsatz kommen, die schon über Vietnam flogen. Der Beginn der Kampfhandlungen in Afghanistan wird durch flimmernde Bilder annonciert, die an die grünblinkenden Rechnermonitore einer längst vergangenen Ära erinnern. Laurie Anderson widmet ihren Auftritt im Konzertsaal der Berliner Hochschule der Künste – gegenüber dem mehr denn je verschanzten Amerikahaus in der Hardenbergstraße – zunächst einmal nur der Gelegenheit, das Zeitgeschehen beobachten zu können. Interpretation folgt.
New York, so berichtet sie, sei dieser Tage wirrer und unübersichtlicher denn je. Neue politische Gruppierungen formierten sich und suchten Antworten auf die aktuellen Fragen. Die Stadt sehe jedenfalls nicht so aus wie im Fernsehen. Hat sie das je getan – und wenn ja, welches Programm hätte man anschalten sollen?
Das Berliner Konzert wird denn auch mit »Statue of Liberty« eröffnet, dem eindringlichsten Stück des neuen Albums »Life on a String«. Es klingt so schwermütig, als wäre es erst neulich auf der Überfahrt von Staten Island nach Manhattan entstanden. Operation »Enduring Freedom« – mißgünstig übersetzt heißt das »Freiheit erleiden«. Angesichts des Vorpostens der beschädigten Skyline bemerkt Anderson: »Freedom is a scary thing«. Dann korrigiert sie ihren Text. Statt »Not many people really want it« folgt ein unverbindliches »So prescious, so easy to lose«.
Wenige im Saal werden das gemerkt haben, nicht nur, weil die neuen Songs noch unvertraut sind, sondern auch, weil Jim Blocks Percussion zu Beginn Andersons sanft verhauchenden Singsang beständig zu übertönen droht. Diese Vehemenz, die einem älteren Stück wie »The Puppet Motel« durchaus guttut, kommt ganz unerwartet, ist doch »Life on a String« eine Sammlung sehr leiser Stücke, dem Titel gemäße Kammermusik. Zwar hat sich Laurie Anderson immer schon einer Violine bedient – früher allerdings nur in den seltensten Fällen, um Geige zu spielen. Meist brachten die Saiten des verkabelten Instruments statt dessen jene Laute hervor, welche die Künstlerin von Ausflügen in fremde Geräuschlandschaften mit nach Hause gebracht hatte. Diesmal führt sie den Bogen, und siehe da, man hört tatsächlich Streichmusik. Noch auffälliger ist der Verzicht auf eine Bebilderung der Töne.
Anderson läßt an diesem Abend viele Songs, die sie nach eigenem Bekunden lange nicht gespielt hat, Revue passieren. Auf den schrägen Klassiker »Sweater« folgt das neue Stück »Lucky Day« – auf die schrille Verweigerung »I no longer love your eyes, your mouth, the way you hold your pen and pencil...« das schmeichelhafte Bekenntnis »I love your brain«. Ihre Fans, eine bemerkenswert heterogene Versammlung, begeistert Anderson mit der minimalistischen Ode »Oh Superman« und einer deutschen Version von »The Dream Before«. Walter Benjamins Text, verfremdet aus dem Englischen zurückübersetzt, handelt vom Engel der Geschichte, der, den Blick auf das Trümmerfeld der Vergangenheit gerichtet, rückwärts gewandt der Zukunft entgegenfliegt. Wahrscheinlich muß auch Laurie Anderson, die von New Yorks Galerienszene nie ganz in die Welt des Pop übergewechselt ist, dabei an Anselm Kiefers Interpretation denken, der den Engel der Geschichte als bleierne B-52 dargestellt hat.
Junge Welt, 20. 10. 2001
Vor bald zehn Jahren versuchte sich Laurie Anderson im Hebbel-Theater zu Berlin an einer nachträglichen Deutung dessen, was in postmodernistischen Kreisen als größtes Simulacrum aller Zeiten gehandelt und im gemeinen Sprachgebrauch etwas ungenau als »Golfkrieg« bezeichnet wird. Ihre Geschichten erzählte sie, als halte sie eine Pressekonferenz im Pentagon, vor Projektionen der von kamerabewehrten Geschossen gelieferten Videos. Die Performance geriet zur Gegendarstellung.
Avantgarde ist ein militärischer Begriff. Die Feuilletons bezeugen, daß es vielen Künstlern momentan schwerfällt, mit der Entwicklung Schritt zu halten. In welche Richtung verläuft sie überhaupt? Erstaunt sieht man Flugzeuge zum Einsatz kommen, die schon über Vietnam flogen. Der Beginn der Kampfhandlungen in Afghanistan wird durch flimmernde Bilder annonciert, die an die grünblinkenden Rechnermonitore einer längst vergangenen Ära erinnern. Laurie Anderson widmet ihren Auftritt im Konzertsaal der Berliner Hochschule der Künste – gegenüber dem mehr denn je verschanzten Amerikahaus in der Hardenbergstraße – zunächst einmal nur der Gelegenheit, das Zeitgeschehen beobachten zu können. Interpretation folgt.
New York, so berichtet sie, sei dieser Tage wirrer und unübersichtlicher denn je. Neue politische Gruppierungen formierten sich und suchten Antworten auf die aktuellen Fragen. Die Stadt sehe jedenfalls nicht so aus wie im Fernsehen. Hat sie das je getan – und wenn ja, welches Programm hätte man anschalten sollen?
Das Berliner Konzert wird denn auch mit »Statue of Liberty« eröffnet, dem eindringlichsten Stück des neuen Albums »Life on a String«. Es klingt so schwermütig, als wäre es erst neulich auf der Überfahrt von Staten Island nach Manhattan entstanden. Operation »Enduring Freedom« – mißgünstig übersetzt heißt das »Freiheit erleiden«. Angesichts des Vorpostens der beschädigten Skyline bemerkt Anderson: »Freedom is a scary thing«. Dann korrigiert sie ihren Text. Statt »Not many people really want it« folgt ein unverbindliches »So prescious, so easy to lose«.
Wenige im Saal werden das gemerkt haben, nicht nur, weil die neuen Songs noch unvertraut sind, sondern auch, weil Jim Blocks Percussion zu Beginn Andersons sanft verhauchenden Singsang beständig zu übertönen droht. Diese Vehemenz, die einem älteren Stück wie »The Puppet Motel« durchaus guttut, kommt ganz unerwartet, ist doch »Life on a String« eine Sammlung sehr leiser Stücke, dem Titel gemäße Kammermusik. Zwar hat sich Laurie Anderson immer schon einer Violine bedient – früher allerdings nur in den seltensten Fällen, um Geige zu spielen. Meist brachten die Saiten des verkabelten Instruments statt dessen jene Laute hervor, welche die Künstlerin von Ausflügen in fremde Geräuschlandschaften mit nach Hause gebracht hatte. Diesmal führt sie den Bogen, und siehe da, man hört tatsächlich Streichmusik. Noch auffälliger ist der Verzicht auf eine Bebilderung der Töne.
Anderson läßt an diesem Abend viele Songs, die sie nach eigenem Bekunden lange nicht gespielt hat, Revue passieren. Auf den schrägen Klassiker »Sweater« folgt das neue Stück »Lucky Day« – auf die schrille Verweigerung »I no longer love your eyes, your mouth, the way you hold your pen and pencil...« das schmeichelhafte Bekenntnis »I love your brain«. Ihre Fans, eine bemerkenswert heterogene Versammlung, begeistert Anderson mit der minimalistischen Ode »Oh Superman« und einer deutschen Version von »The Dream Before«. Walter Benjamins Text, verfremdet aus dem Englischen zurückübersetzt, handelt vom Engel der Geschichte, der, den Blick auf das Trümmerfeld der Vergangenheit gerichtet, rückwärts gewandt der Zukunft entgegenfliegt. Wahrscheinlich muß auch Laurie Anderson, die von New Yorks Galerienszene nie ganz in die Welt des Pop übergewechselt ist, dabei an Anselm Kiefers Interpretation denken, der den Engel der Geschichte als bleierne B-52 dargestellt hat.
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