Eine orthographische Legende
Gekürzt erschienen in: F.A.Z., 3. 2. 2006
Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird heute in Mannheim über Fragen der Groß- und Kleinschreibung beraten. Auf seinem grünen Tisch liegt der Vorschlag, statt Recht haben künftig wieder recht haben zu schreiben. Vermutlich wird er keine Mehrheit finden, denn die Großschreibung hat für die im Rat tonangebenden Verfechter der Reformrechtschreibung einen hohen Symbolwert.
Aus diesem Grunde hat der Rat über die ss-Schreibung gar nicht erst diskutiert. Es gilt der Grundsatz: Wer dass schreibt und nicht daß, schreibt reformiert. Da der Rat nur einige besonders auffällige Unzulänglichkeiten der Reform, nicht aber diese selbst aus der Welt schaffen soll, durfte er die auf den Grammatiker August Heyse (1764–1829) zurückgehende Regelung nicht antasten.
Sie sei einleuchtend und habe sich bewährt, heißt es gewöhnlich zur Begründung. So argumentierte bereits Hofrat Johann Huemer, der österreichische Abgesandte auf der zweiten Berliner Orthographischen Konferenz. Laut Protokoll der Eröffnungssitzung am 17. Juni 1901 erklärte Huemer seinerzeit, »dass sich die Heysesche Schreibung in Österreich bewährt habe, aber dass Österreich schliesslich bereit sein werde, im Interesse der Einheitlichkeit hierin ein Opfer zu bringen«.
Tatsächlich hatte Unterrichtsminister Karl von Stremayr am 22. November 1879 die Deutschlehrer aller österreichischen Mittelschulen dazu aufgefordert, »in einer unter dem Vorsitze des Directors abzuhaltenden Conferenz die von den Schülern aller Classen der betreffenden Anstalt consequent zu fordernde Orthographie zu vereinbaren« und sich dabei auf das vom Kaiserl.-königl. Schulbücher-Verlag neu herausgebrachte Werk Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung zu stützen.
Die Annahme, von 1879 bis zur Einführung der Einheitsorthographie 1902 sei in der Donaumonarchie die Heysesche Schreibung praktiziert worden, beruht jedoch auf der häufig anzutreffenden Verwechslung von Schulstandard und allgemein üblicher Rechtschreibung.
Das Digitalisierungsprojekt Austrian Newspapers Online bietet in diesem Zusammenhang interessante Aufschlüsse. Zwar ging das Reichsgesetzblatt für die im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder 1888 zur Heyseschen Schreibung über. Aber weder die offiziöse Wiener Zeitung noch das staatstragend-katholische Vaterland folgten den amtlichen Vorgaben. Das Witzblatt Der Floh verweigerte sich ebenso wie der angesehene Pester Lloyd, die christlich-soziale Freiheit! ebenso wie das Volksblatt, und selbst die gewöhnlich dem Fortschritt huldigende Neue Freie Presse ignorierte die Neuerung. Einzig die Innsbrucker Nachrichten stellten am 2. Januar 1891 auf die staatlich vorgegebene Schreibung um, bei Gelegenheit einer Formatänderung. Am 1. Juli 1902 kehrten sie dann kommentarlos zur herkömmlichen ß-Schreibung zurück.
Heyses ss-Schreibung hat sich in Wirklichkeit weder unter Kaiser Franz Joseph noch in den letzten Jahren bewährt. Sie führt, für jedermann sichtbar, zu unbefriedigenden Wortbildern (Flussaue, Missstand) und vermehrten Fehlern (Grüsse, Ergebniss). »Also mich ärgert es schon, wenn die Kultusminister sagen, das (!) jetzt an den Schulen besser rechtgeschrieben wird«, zitierte die Neue Osnabrücker Zeitung vor einiger Zeit den Leipziger Psychologieprofessor Harald Marx, der als einziger Forscher die Fehlerhäufigkeit in Schuldiktaten vor und nach der Reform systematisch untersucht hat. Augenfälliger kann man das Problem wohl nicht in Worte fassen.
Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird heute in Mannheim über Fragen der Groß- und Kleinschreibung beraten. Auf seinem grünen Tisch liegt der Vorschlag, statt Recht haben künftig wieder recht haben zu schreiben. Vermutlich wird er keine Mehrheit finden, denn die Großschreibung hat für die im Rat tonangebenden Verfechter der Reformrechtschreibung einen hohen Symbolwert.
Aus diesem Grunde hat der Rat über die ss-Schreibung gar nicht erst diskutiert. Es gilt der Grundsatz: Wer dass schreibt und nicht daß, schreibt reformiert. Da der Rat nur einige besonders auffällige Unzulänglichkeiten der Reform, nicht aber diese selbst aus der Welt schaffen soll, durfte er die auf den Grammatiker August Heyse (1764–1829) zurückgehende Regelung nicht antasten.
Sie sei einleuchtend und habe sich bewährt, heißt es gewöhnlich zur Begründung. So argumentierte bereits Hofrat Johann Huemer, der österreichische Abgesandte auf der zweiten Berliner Orthographischen Konferenz. Laut Protokoll der Eröffnungssitzung am 17. Juni 1901 erklärte Huemer seinerzeit, »dass sich die Heysesche Schreibung in Österreich bewährt habe, aber dass Österreich schliesslich bereit sein werde, im Interesse der Einheitlichkeit hierin ein Opfer zu bringen«.
Tatsächlich hatte Unterrichtsminister Karl von Stremayr am 22. November 1879 die Deutschlehrer aller österreichischen Mittelschulen dazu aufgefordert, »in einer unter dem Vorsitze des Directors abzuhaltenden Conferenz die von den Schülern aller Classen der betreffenden Anstalt consequent zu fordernde Orthographie zu vereinbaren« und sich dabei auf das vom Kaiserl.-königl. Schulbücher-Verlag neu herausgebrachte Werk Regeln und Wörterverzeichnis für die deutsche Rechtschreibung zu stützen.
Die Annahme, von 1879 bis zur Einführung der Einheitsorthographie 1902 sei in der Donaumonarchie die Heysesche Schreibung praktiziert worden, beruht jedoch auf der häufig anzutreffenden Verwechslung von Schulstandard und allgemein üblicher Rechtschreibung.
Das Digitalisierungsprojekt Austrian Newspapers Online bietet in diesem Zusammenhang interessante Aufschlüsse. Zwar ging das Reichsgesetzblatt für die im Reichsrath vertretenen Königreiche und Länder 1888 zur Heyseschen Schreibung über. Aber weder die offiziöse Wiener Zeitung noch das staatstragend-katholische Vaterland folgten den amtlichen Vorgaben. Das Witzblatt Der Floh verweigerte sich ebenso wie der angesehene Pester Lloyd, die christlich-soziale Freiheit! ebenso wie das Volksblatt, und selbst die gewöhnlich dem Fortschritt huldigende Neue Freie Presse ignorierte die Neuerung. Einzig die Innsbrucker Nachrichten stellten am 2. Januar 1891 auf die staatlich vorgegebene Schreibung um, bei Gelegenheit einer Formatänderung. Am 1. Juli 1902 kehrten sie dann kommentarlos zur herkömmlichen ß-Schreibung zurück.
Heyses ss-Schreibung hat sich in Wirklichkeit weder unter Kaiser Franz Joseph noch in den letzten Jahren bewährt. Sie führt, für jedermann sichtbar, zu unbefriedigenden Wortbildern (Flussaue, Missstand) und vermehrten Fehlern (Grüsse, Ergebniss). »Also mich ärgert es schon, wenn die Kultusminister sagen, das (!) jetzt an den Schulen besser rechtgeschrieben wird«, zitierte die Neue Osnabrücker Zeitung vor einiger Zeit den Leipziger Psychologieprofessor Harald Marx, der als einziger Forscher die Fehlerhäufigkeit in Schuldiktaten vor und nach der Reform systematisch untersucht hat. Augenfälliger kann man das Problem wohl nicht in Worte fassen.
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